Textatelier
BLOG vom: 02.01.2008

Schweizer Konsensfindung: neoliberal, nicht rechtsbürgerlich

Autorin: Lislott Pfaff, Schriftstellerin, Liestal BL
 
In letzter Zeit war in der schweizerischen Politik viel die Rede von sprachlichen Ausrutschern unserer Parteien und ihrer Vertreter. Aber trotz aller parteipolitischen Konflikte – die besonders in jüngster Zeit die Schlagzeilen der Presse beherrschten – lautete bisher der Tenor, der Schweiz gelinge es immer wieder, ihre innerstaatlichen Konflikte durch Konsensfindung zu lösen. Dass sie sich mehr oder weniger in rechtsbürgerlichen Händen befinde, sei ein Vorteil, und gewisse Korrektive von linker Seite hätten immer wieder das nötige Gleichgewicht geschaffen.
 
Wenn man jedoch beobachtet, was gegenwärtig in der Schweiz – wie übrigens auch weltweit – vor sich geht, ist der Ausdruck „rechtsbürgerlich“ fehl am Platz. Man kann unser System nur noch mit dem Begriff „neoliberal“ bezeichnen. Gehandelt wird nach dem Motto: Weg mit den Armen und Ärmlichen, jetzt kommen wir und nur wir und nochmals wir (siehe Marcel Ospel, Daniel Vasella, Peter Brabeck usw., die gemäss dem ehemaligen Bundeshausjournalisten Viktor Parma jene sind, welche die Schweiz wirklich regieren, wie er im Buch: „Machtgier Wer die Schweiz wirklich regiert“, Nagel & Kimche 2007, schreibt. Zum Glück werde ich selbst wahrscheinlich die längerfristigen Folgen der heutigen, nur auf das Materielle konzentrierten Politik kaum mehr erleben.
 
Der Historiker und Publizist Herbert Lüthy (1918‒2002) beschrieb in einem Essay von 1961 („Die Schweiz als Antithese“, www.herbert-luethy.ch) unser Land als eine vom Lokalpatriotismus geprägte Nation, deren föderalistisches System ihr politisch zum Vorteil gereiche. Keine europäische Nation habe wie die Schweiz gewisse archaische Strukturen bewahrt und zugleich eine Entwicklung zur Moderne verfolgt. Die zentralisierten Staaten Europas könnten von unserem über Jahrhunderte gewachsenen politischen System mit seiner Volkssouveränität auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene nur lernen. Anderseits gereiche die Tatsache, dass die Eidgenossen lediglich Zuschauer des europäischen Politgeschehens seien und nicht aktiv in die europäische Politik eingreifen, der Schweiz zum Vorteil.
 
Soweit das Loblied Lüthys auf die Schweiz. Würde er wohl heute noch so optimistisch über unser Land schreiben, heute, wo dubiose asiatische Staatsfonds in ehemals solid-schweizerischen Grossbanken (UBS) und totalitär regierende Ölscheichs in urschweizerischen Landschaften (Andermatt) das Sagen haben – mit Hilfe von Machenschaften, die in den Medien elegant als „Reichtumstransfer“ umschrieben werden? „Bund und Wirtschaft sehen kein Problem“, titelte die „Mittelland-Zeitung“ am 28.12.2007. Unser Finanzminister wertet es sogar als „Vertrauensbeweis“, dass ein ausländischer Investor so gross in ein Schweizer Unternehmen (UBS) „einzusteigen bereit ist“ – Kotau… Alt-Bundesrat Christoph Blocher findet, „generell sollten Staatsfonds nicht eingeschränkt werden“. Die Schweiz engagiere sich ja auch im Ausland (klar, er hat schon vor Jahren seine Produktionsbetriebe im Billiglohnland China erstellt). Ins gleiche Horn stösst die wirtschaftsgläubige CVP-Bundesrätin Doris Leuthard und erweist dem diktatorischen chinesischen Regime mit ihrem Besuch die Ehre – Kotau Nr. 2… Schweizer Folklore pur, von Demokratie keine Spur.
 
Lüthy teilte in seinem Essay die Welt noch in eine „freie“ und eine „totalitäre“ Welt ein. Diese Einteilung ist längst überholt. Heute ist auch die so genannte freie Welt auf dem besten Weg in eine ökonomisch-finanziell totalitäre Welt, wo nur Geld und Machtgier dominieren – auch in der bisher politisch stabilen Schweiz.
 
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